Wie geht es weiter mit dem ÖPNV in Coronazeiten?
Diskussionsrunde der F.A.Z.
ÖPNV in Coronazeiten: ein Kraftakt für die Verkehrsunternehmen in Deutschland. Nach wie vor sind die Menschen deutlich weniger mit Bus und Bahn unterwegs als vor der Pandemie. Was bedeutet das für die Verkehrswende? Und wie bleibt der öffentliche Verkehr in der Krise zukunftsfähig? Auf einer Diskussionsrunde der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z) gab es erste Antworten.
Deutschland kehrt nach und nach zu einer neuen Form der Normalität zurück. An Schulen wird wieder unterrichtet. Die Wirtschaft holt mehr und mehr Mitarbeiter in die Unternehmen zurück. Die Einschränkungen für den Einzelhandel und die Gastronomie wurden gelockert, die Städte leben wieder auf. Und der öffentliche Nahverkehr hat längst schon sein Angebot von 80 Prozent während des Lockdowns wieder auf 100 Prozent hochgefahren. Inzwischen sind auch 50 bis 60 Prozent der Fahrgäste zurückgekehrt. Das ist allerdings zu wenig, wenn Deutschland seine gesetzten Klimaschutzziele erreichen will.
Was bedeutet die Coronakrise für die Verkehrswende?
Denn eins ist klar: Die Coronakrise hat die gerade erst bundesweit in Fahrt gekommene Verkehrswende ausgebremst. Eine aktuelle Infas-Umfrage legt zumindest nahe, dass unter anderem das Auto zu den Gewinnern der Krise zählen könnte. So gaben 64 Prozent der Befragten an, dass das Auto aktuell ihr bevorzugtes Verkehrsmittel ist. Vor Corona waren es nur 34 Prozent. Das wäre eine fatale Entwicklung zu Lasten des Klimaschutzes und der Gesellschaft und Klima, war sich die F.A.Z.-Diskussionsrunde einig. „Jenseits der Coronakrise bleiben der Klimawandel und mit ihm die Verkehrswende eine Notwendigkeit“, betonte Dr. Jörg Sandvoß, Vorstandvorsitzender von DB Regio. Die öffentlichen Verkehrsunternehmen sind einmal mehr gefordert, sich als Möglichmacher der Verkehrswende auch in Coronazeiten zu positionieren. Schließlich hielten die Verkehrsunternehmen während des Lockdowns ihr Angebot zu 80 Prozent aufrecht, damit Menschen in systemrelevanten Berufen sicher zur Arbeit kamen. Damit steht für die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, die saarländische Verkehrsministerin Anke Rehlinger fest: „Der öffentliche Verkehr wird auch in Zukunft Teil der Lösung sein.“
Warum steigen die Fahrgastzahlen nicht wieder auf Vorkrisenniveau?
Das ist leichter gesagt, als getan. Denn die Coronakrise hat dem ÖPNV einen erheblichen Imageschaden beschert. In den Medien wurden öffentliche Verkehrsmittel oftmals als „Virenschleudern“ dargestellt. Ganz zu Unrecht, findet Professor Knut Ringat, Sprecher der Geschäftsführung des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV): „Es gibt keine Hinweise auf Ansteckungsketten, die auf die Nutzung des ÖPNV zurückzuführen wären.“ Auch Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Vorsitzender der Geschäftsführung der Münchner Verkehrsgesellschaft, ist überzeugt: „Wenn man sich an die bekannten Verhaltensregeln hält – also Maske tragen, Niesetikette,Hände waschen – dann ist der ÖPNV so sicher wie alle anderen öffentlichen Orte.“ Diese Einschätzung untermauern aktuelle Erhebungen aus Österreich: Dort hat die staatliche Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) die Nachverfolgung von Infektionsketten dokumentiert und nicht einen Ansteckungsfall auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückverfolgen können. Auch seitens der kommunalen Gesundheitsämter in Deutschland gibt es dazu keine Hinweise. Was also tun? Wie geht es weiter mit dem ÖPNV in Coronazeiten? Wie gewinnt man wieder mehr Menschen für die nachhaltige und zukunftsgerichtete Mobilität mit Bussen und Bahnen?
Wie kommt das Vertrauen der Fahrgäste zurück?
Mit der bundesweiten Kampagne #BesserWeiter wollen die Verkehrsunternehmen im Schulterschluss mit Bund und Ländern für Aufklärung sorgen und das Vertrauen der Menschen in sichere Busse und Bahnen zurück gewinnen. „Ursächlich für die Wahl des Verkehrsmittels ist die Qualität“, zeigt sich Stefanie Haaks, Vorsitzende des Vorstandes der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), überzeugt. „Dazu gehört aktuell vor allem auch mehr Sauberkeit. Auch vor Corona schon ein Qualitätskriterium, aber jetzt wird vom Kunden etwas anderes gefordert.“
Was tun die Verkehrsunternehmen für Hygiene und Sauberkeit?
Die Verkehrsunternehmen in Deutschland nehmen die Sorgen ihrer Fahrgäste sehr ernst. Gleichzeitig gilt es, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Coronazeiten besonders zu schützen. Deshalb haben die Verkehrsbetriebe bundesweit eine umfangreiche Hygieneoffensive gestartet. Die Reinigungsintervalle der Fahrzeuge wurden erhöht, in vielen Städten sind mobile Hygieneteams unterwegs, die im laufenden Betrieb, also zusätzlich zur Standardreinigung, Busse und Bahnen sowie Haltestellen und Ticketautomaten säubern. Darüber hinaus kommen innovative Verfahren zum Einsatz. Im Düsseldorfer Hauptbahnhof etwa werden Handläufe von Rolltreppen mit UVC-Licht desinfiziert, wie der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Hendrik Wüst berichtet: „Ich habe mich davon selbst überzeugen können. Allein im Düsseldorfer Hauptbahnhof sind nahezu rund um die Uhr zusätzliche Reinigungskräfte unterwegs. Da wird viel getan und wir müssen zeigen, dass die Bahn und der ÖPNV sauber und damit sicher nutzbar sind.“
Wie wirkt sich die Coronakrise auf die Einnahmen im ÖPNV aus?
Während die Verkehrsunternehmen in Hygiene und Zukunft erhebliche Summen investieren, müssen sie als Folge der Coronakrise gleichzeitig Einnahmeverluste verkraften. Diese belaufen sich nach den Berechnungen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) auf rund fünf Milliarden Euro bis zum Jahresende. Große Hoffnungen setzt die Branche daher auf den ÖPNV-Rettungsschirm in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, der Anfang Juni von der Bundesregierung im Rahmen des Konjunkturpaketes beschlossenen wurde. In etwa derselbe Betrag soll noch einmal über die Länder finanziert werden.
Wie bleibt der öffentliche Verkehr in der Krise zukunftsfähig?
Mit ihrer Kampagne #BesserWeiter starten die öffentlichen Verkehrsunternehmen nicht nur eine Hygieneoffensive, sondern eine umfangreiche Qualitätsoffensive für die Zeit nach der Coronakrise. „Die größte Perspektive liegt für uns darin, dass wir unsere Verkehrsunternehmen zu Mobilitätsdienstleistern entwickeln, die ihre Angebote vernetzen und maßgeschneiderte Mobilitätskonzepte anbieten“, meint etwa der Wiesbadener Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende. Dafür bietet die Digitalisierung große Chancen. „Ich bin mir sicher, dass wir mit Corona und nach Corona zum Beispiel das Thema Digitalisierung noch einmal neu entdeckt haben und dass es einen unheimlichen Schub geben wird für Themen, die branchenübergreifend relevant sind,“ erklärt Professor Knut Ringat, Sprecher der Geschäftsführung des Rhein-Main-Verkehrsverbunds. Das zeigen Projekte wie die Plattform Mobility Inside. Damit lässt sich zukünftig der Ticketverkauf deutschlandweit, über Verbund- und Ländergrenze hinweg, vereinfachen. Neue Tickets mit Rabatten für Berufspendler im Homeoffice oder spezielle Familienangebote können flexible Mobilitätswünsche realisieren. Allerdings weisen Ein-Euro-Tickets nicht unbedingt in die richtige Richtung, wie Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann betont: „Wir wollen das Angebot ausdehnen und preiswert machen, aber unseren ÖPNV nicht unter Wert verkaufen.“