Frau bedient ihr Smartphone am Bahngleis Frau bedient ihr Smartphone am Bahngleis

Fahrgastlenkung im öffentlichen Nahverkehr

Auslastungsanzeigen und Co.

Wenn wieder mehr Menschen Bahn fahren, wird es in den Fahrzeugen voller – eine Belastungsprobe für den öffentlichen Nahverkehr in Zeiten von Corona, in denen das Abstandsgebot großgeschrieben wird. Abhilfe schafft an dieser Stelle die Maskenpflicht, aber auch Methoden der Fahrgastlenkung können helfen. Was es damit auf sich hat, erklären wir hier.

Fahrgäste besser in den Bahnwaggons verteilen und so Distanz zwischen ihnen schaffen – genau das ist das Ziel der Fahrgastlenkung. Das Prinzip sorgt dafür, dass Waggons gleichmäßig befüllt sind und Fahrgäste besser Abstand zueinander halten können – getreu dem Motto „Please mind the gap“.

Die Technologie, die sich mit Mitteln wie Kameras oder Handydaten umsetzen lässt, kann während der Pandemie dabei helfen, eine Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Hier ein Überblick über unterschiedliche Ansätze:

Rhein-Main-Verkehrsbund (RMV): Mobile Auslastungsanzeige

Durch die Pandemie hat die Forschung um die Fahrgastlenkung neuen Schwung erhalten. Damit ihre Fahrgäste unterwegs noch besser Abstand zueinander halten können und sich in Zeiten von Corona sicherer in Bus und Bahn fühlen, haben auch der RMV, VGF und traffiQ in Zusammenarbeit mit dem Auskunftsspezialisten HaCon eine Auslastungsanzeige auf die Beine gestellt.

Hierbei handelt es sich um ein Pilotprojekt, das im September auf der mobilen Seite des RMV an den Start gegangen ist und User und Userinnen vor Fahrtantritt über das Fahrgastaufkommen auf ihrer Route informieren. Damit aber nicht genug: Ist die Fahrzeugbelegung zu hoch, werden alternative Routen angezeigt, die eine geringere Auslastung haben. Eine Implementierung der Funktion in die App des Verkehrsverbunds ist geplant.

Die Fahrzeugbelegung wird anhand von Daten prognostiziert. Diese basieren auf über zwei Millionen täglichen Abfragen aus der RMV-Verbindungsauskunft sowie Daten aus dem RMV-HandyTicket. Hinzukommen zusätzliche Daten aus automatischen Fahrgastzählsystemen des Stadtverkehrs Frankfurt (U-Bahn, Straßenbahn und Bus) und der S-Bahn. Die Prognose wird ergänzt durch externe Ereignisse wie Baustellen oder Großveranstaltungen. Informationen wie Störungen oder Ausfälle soll die Auslastungsanzeige mittelfristig ebenfalls berücksichtigen. Datenschutzkonform ist das Ganze auch: Die Daten, auf denen die Prognose basiert, lassen keine personenbezogenen Rückschlüsse zu.

Die Auslastungsprognose des RMV
Ab September wird auf der mobilen Seite des RMV eine Auslastungsprognose angezeigt. Eine Implementierung in die App ist geplant. © RMV / Alex Schwander

Stadtwerke Gießen (SWG): Echtzeitinformationen zum Platzangebot in Bus

Fahrgastlenkung war auch schon vor dem Corona-Ausbruch Thema. Genau das zeigt das Projekt NV-ProVi. Im Rahmen dessen arbeiten die Data-Analytics-Experten von Brodtmann Consulting gemeinsam mit den Stadtwerken Gießen (SWG) und ihrer Nahverkehrstochter MIT.BUS daran, den öffentlichen Nahverkehr zu optimieren. Der RMV unterstützt das Projekt als assoziierter Partner.

Basis des Projekts sind Zählsysteme, mit deren Hilfe Daten erfasst werden. Bereits vorhandene historische Daten werden dabei mit Echtzeit-Daten verknüpft. Das Ergebnis ist eine schnelle und präzise Prognose, die anzeigt, welche Busse wann wie belegt sind. Erforderlich für die Umsetzung von NV-ProVI ist der Einbau weiterer Zählsysteme in die Fahrzeuge. Matthias Funk, technischer Vorstand der SWG, erklärt hierzu: „Je mehr echte Daten wir erfassen können, desto genauer werden die Prognosen.“

Die Daten werden mit einer Echtzeit-Karte in der RMV-App und auf der RMV-Website verfügbar sein. Bis dahin dauert es allerdings noch. „Aktuell gehen wir davon aus, dass wir 2022 die RMV-App mit Live-Daten versorgen können“, verkündet Jens Schmidt, kaufmännischer Vorstand der SWG.

Prof. Knut Ringat, Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes, zeigt sich erfreut über das Projekt in seinem Verbund: „Eine Auslastungsprognose im Nahverkehr ist ein hochkomplexes, aber insbesondere aufgrund von Corona ein dringliches Thema. Das Projekt unserer Gießener Partner passt ideal zur RMV-Digitalstrategie und wir freuen uns darauf, wenn die hier erhobenen Daten in unsere verbundweite Auslastungsprognose mit einfließen.“

Einblick in das Analysetool der SWG
Das Analysetool der SWG ©SWG

Einblick in das Analyse-Tool der SWG

Einen Eindruck, wie die Daten über die SWG erfasst werden, liefert die obige Darstellung. Darin zu sehen: In der oberen Grafik wird die Belegung in einem Fahrzeug mit den Ein- und Ausstiegen an den jeweiligen Haltestellen betrachtet. Dazu sind auf der x-Achse die Haltestellen in Fahrtreihenfolge abgetragen. Die y-Achse misst die Belegung in Personen. Die Linie zeigt somit den Belegungsverlauf dieser Einzelfahrt an. Die Belegung ist zusätzlich noch im weißen Kästchen angezeigt; zusätzlich werden die Zustiege im grünen und die Ausstiege an den jeweiligen Haltestellen als rote Kästchen angeführt. An der Haltestelle Marktplatz gab es bei der untersuchten Fahrt somit 30 Zustiege und 14 Ausstiege womit sich nach Abfahrt 42 Personen gleichzeitig im Fahrzeug befunden haben.

Die untere Grafik gibt Auskunft über die Pünktlichkeitssituation der untersuchten Fahrt. Die x-Achse zeigt wieder die Haltestellenfolge und auf der y-Achse werden als rote Säule die Verspätung und als grüne Säule als Verfrühung die Sekunden abgetragen. An der Haltestelle Marktplatz ist das Fahrzeug somit mit 23 Sekunden Verspätung abgefahren.

DB Regio: Anonymisierte Fahrgastzählung via Kameras

Im Rahmen der Corona-Pandemie hat sich in Stuttgart die DB Regio mit dem Start-up-Unternehmen brighter AI für ein Pilotprojekt zusammengetan. Dieses wertet automatisch die Fahrgastdichte aus. Wie das genau funktioniert? Über eine datenschutzkonforme Kamera-Infrastruktur. Bedeutet konkret: Daten bereits existierender Zugkameras werden zunächst anonymisiert, indem die Gesichter der Fahrgäste durch künstlich erzeugte Nachbildungen ersetzt werden. Auf diese Weise wird die Identität der Personen geschützt und die Daten können weiterverarbeitet werden – beispielsweise, indem am nächsten Bahnsteig angezeigt wird, wie stark die Züge in den einzelnen Waggons ausgelastet sind.

Marian Gläser, Mitgründer und Geschäftsführer von brighter AI, erklärt dazu: „Mit unseren Anonymisierungstechnologien wollen wir den vermeintlichen Ethik-Konflikt zwischen Persönlichkeitsrechten einerseits und datenbasierter Innovationskraft andererseits auflösen. Indem wir personenbezogene Daten, wie Gesichter, in Bild- und Videodaten schützen und danach zu Analysezwecken zur Verfügung stellen, ermöglichen wir langfristig zahlreiche Anwendungsfälle und neue Geschäftsmodelle unter dem Schutz der persönlichen Identität.“

Projekt Firefly: Glühwürmchen zeigen leere Waggons an

Mit dem Projekt Firefly liefert das Forscherteam Nils Jünke und Johannes Müller von der Weißensee Kunsthochschule Berlin einen anderen Lösungsansatz. Bei dem Projekt handelt es sich um vernetzte Lichtinstallationen, die „Fireflies“, zu Deutsch Glühwürmchen, genannt werden.

Das System gibt am Gleis nicht nur Anhaltspunkte darüber, wie der Zug halten wird, sondern zeigt auch die Platzkapazität der einzelnen Waggons bereits vor Ankunft der Fahrzeuge an. Wartende Fahrgäste können sich anhand dieser Anzeige besser auf die Waggons verteilen. Die entsprechenden Daten werden von vorherigen Stationen bezogen.

 


Sobald Fahrgäste an Bord sind, wird die verbleibende Kapazität des persönlichen Raums innerhalb des Zugwagens gemessen und dann den Passagieren in der entgegenkommenden Station mitgeteilt, um sie so dazu zu bewegen, weniger überfüllte Bereiche aufzusuchen.

Folgendes Video erklärt die Funktionsweise: